KRATES – Buch 4 – Kapitel 26

»Wozu muss ich denn unbedingt Geometrie lernen?«
»Du musst gar nichts, Polli!«
»Nenn mich nicht Polli«, schmollte der Junge. »Ich finde, ihr könntet euch langsam mal daran gewöhnen, dass ihr eure Söhne Apollodoros und Telephos genannt habt und nicht Polli und Telli.«
Krates warf seinem Sohn einen amüsierten Blick zu und musste lachen. Andere Väter würden ihm diese Widerrede nicht durchgehen lassen, doch er hatte seine Söhne ja selbst dazu erzogen alles zu hinterfragen und sich nichts gefallen zu lassen. Wie sollte er ihm da jetzt böse sein?
»Was ist denn daran so komisch?« wollte Apollodoros wissen.
»Gar nichts, mein Sohn, und entschuldige den Kosenamen. Ich wundere mich nur darüber, wie schnell die Zeit vergeht.«

Und beim Zeus, das tat sie. Wehmütig erinnerte sich Krates an das Gespräch, das sie vor vier Jahren auf dieser Mauer geführt hatten, als Eumenes gestorben und ihm sein Bruder Attalos auf den Thron gefolgt war. Apollodoros war damals noch ein halbes Kind und ihm ging der Tod des greisen Königs, der ihm zu seinem sechsten Geburtstag persönlich gratuliert hatte, sehr nahe. Die ganze Stadt war unterwegs gewesen, um der großen Trauerprozession zu folgen, die sich langsam durch das Eumenische Tor dem großen Grabhügel näherte, den man außerhalb der Stadtmauern für Eumenes errichtet hatte. Und während sie von hier oben dem Leichenzug nachschauten, hatte Krates seinem Sohn erklärt, dass das Leben immer weitergeht, selbst dann, wenn es vorübergehend wehtut. Er erinnerte sich an den Schmerz, den er selbst empfunden hatte, als er seinem toten König und Gönner auf seiner letzten Reise ins Tal nachblickte. Doch Krates erinnerte sich auch an das warme Gefühl der Zuversicht, das ihn überkam, als er an seinen Sohn dachte, den er von ganzem Herzen liebte, für den er dasein und dem er jeden Tag von Neuem vorleben konnte, wie wundervoll das Leben doch war.

»Denkst du an Eumenes?« fragte Apollodoros, dem der traurige Blick seines Vaters nicht entgangen war.
»Ja, das tue ich. Er war ein guter König, auch wenn ich froh bin, das Schicksal unserer Stadt nun in den Händen seines Bruders zu wissen. Denn gerade in Zeiten wie diesen verlasse ich mich doch lieber auf die Erfahrung eines kampferprobten Feldherrn.«
»Was mir aber noch immer nicht meine Anfangsfrage beantwortet, warum ich mich mit der Geometrie abquälen muss.«

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»Ich habe es dir vorhin schon gesagt, Apollodoros. Du musst gar nichts und wenn du mich davon überzeugen kannst, dass du die Geometrie nie wieder brauchen wirst, müssen wir darüber auch kein weiteres Wort zu verlieren. Aber ich denke, es gibt doch einiges, was dafür spricht sich mit dieser Materie wenigstens einmal auseinanderzusetzen. Denn mit der Geometrie ist es im Grunde genommen genauso wie mit den Kochkünsten deiner Mutter. Um sie zu erlernen, musst du sie verstehen, um sie dagegen anzuwenden, reicht es vollkommen, wenn du einen Papyrus besitzt, auf dem sie beschrieben ist.«

»Ach so«, rief Apollodoros, der begriff, worauf sein Vater hinauswollte. »Du meinst, dass Papyri ebenso verschwinden können wie Mutters Kochrezepte?«
»Natürlich. Und dann ist es aus, mit der Geometrie ebenso wie mit den Pfannkuchen. Aber was du einmal gelernt hast, kann dir keiner mehr nehmen. Frag Livia, sie wird es dir bestätigen.«
Apollodoros zupfte zerstreut an den Blättern des Unkrauts, das hier und dort aus den Mauerritzen hervorspross und schluckte seinen Widerwillen herunter. »Das ist alles schön und gut, Vater, und ich bin ja auch bereit etwas zu lernen, um es für immer in meinem Gedächtnis zu bewahren. Aber ich weiß doch noch nicht einmal, wozu ich die Geometrie überhaupt brauche. Denn alles, was mir Praxiteles zu diesem Thema erzählen konnte, schien mir so weit hergeholt, dass es mir vermutlich nie wieder begegnen wird.«

Krates nickte verdrossen. Er kannte den Lehrer seines Sohnes und war von dessen pädagogischen Fähigkeiten noch nie sonderlich überzeugt gewesen. Also erzählte er Apollodoros von seinen eigenen Geometriestunden bei Aristides in Tarsos, von den Winkelberechnungen, über die man den Mädchen ungesehen unter die Röcke schauen oder die Flugbahn eines Wurfgeschosses berechnen konnte. Als er schließlich bei den Höhen- und Entfernungsmessungen angelangt war, die er seinen Treibern auf dem Weg nach Pergamon beigebracht hatte, sah er das Funkeln in den Augen seines Sohnes und wusste, dass er nicht umsonst geredet hatte.
»So, wie du es erzählst, kann die Geometrie offenbar richtig Spaß machen. Schade nur, dass du uns nicht unterrichten kannst.«
»Ich fürchte, dafür fehlt mir die Zeit. Aber wenn du willst, kann ich dir wenigstens bei deinen Aufgaben helfen.«
»Oh ja«, freute sich Apollodoros, »das wäre fein.«
»Heißt das, dass du dich ab jetzt wieder ernsthafter mit der Geometrie befassen möchtest?«
»Ja, Vater.«
»Na prächtig«, lachte Krates, »dann können wir ja die Beschwerde deines Lehrers auch getrost wieder vergessen.«
»Danke für deine Hilfe.«

Krates umarmte seinen Sohn und drückte ihn fest an sich. »Komm«, sagte er schließlich und erhob sich von der Mauer. »Mir knurrt allmählich der Magen und wie ich deine Mutter kenne, hat sie dagegen ein gutes Rezept.«
Sie schlenderten über die kleine Straße oberhalb der Altarterrasse und beobachteten die letzten Handwerker, die mit dem Einsetzen der Abenddämmerung ihre Werkzeuge wegschlossen und die Baustelle verließen. Krates erzählte seinem Sohn von dem alten Bildhauermeister Agamemnon, der vor wenigen Jahren gestorben war und den Bau des großen Altares quasi von der ersten Stunde an begleitet hatte. Die umlaufenden Götterreliefs, die damals noch in Arbeit waren, als er sich von Stratonike über die Baustelle führen ließ, waren längst fertiggestellt und der Vorschlag seines ehemaligen Schülers Artemon die Götterbilder mit Namenszügen zu beschriften tatsächlich aufgenommen worden. Über den relieffierten Sockeln thronte mittlerweile die umlaufende Säulenhalle, auf deren leichtem Gebälk sogar schon das Flachdach auflag. Wie es schien, wurde derzeit nur noch im Inneren des Altares gearbeitet, doch was es da zu schaffen gab, war von außen nicht erkennbar.

»Da seid ihr ja«, begrüßte sie Livia, als sie das Haus betraten. »Hoffentlich habt ihr guten Hunger mitgebracht. Es gibt nämlich gleich Abendessen.«
Nachdem sie gegessen hatten, die Suppenteller vom Tisch abgeräumt und die Kinder ins Bett gegangen waren, setzten sich Krates, Livia und Silanos noch mit einem Becher Wein in den Hauptraum.
»Weißt du schon, wann du fortmusst?« fragte Livia besorgt.
»Nein, leider nicht. Vielleicht nächste Woche, vielleicht auch erst in einem Monat, genaueres konnte mir Attalos noch nicht sagen. Aber wer könnte ihm das verübeln? Beim Zeus, die Lage ist derzeit so angespannt, dass es mich wundert, wenn er an diese Dinge überhaupt noch einen Gedanken verschwendet. Alle zwei Wochen kommt eine neue Gesandtschaft aus Rom, um mit ihm die Aufstellung der Truppen und Flottenmanöver zu koordinieren. Das Wettrüsten mit den Bithyniern nimmt immer bedrohlichere Züge an und es geht hier schon lange nicht mehr um seine eigenen Machtansprüche, sondern um die Sicherheit Pergamons und die Zukunft unserer Kinder.

Im Übrigen habe ich es mit dieser Reise auch gar nicht so eilig, ganz im Gegenteil: Ich habe Attalos sogar gebeten, sich für die Zukunft nach einem anderen Gesandten umzusehen. Es gibt genügend taugliche Männer, die sich über den Diplomatenposten freuen und weder Familie haben noch eine Bibliothek führen müssen.«
»Und wirst du Silanos mitnehmen?« fragte ihn Livia.
»Wieso sollte er mich mitnehmen?«
»Krates reitet in ein paar Tagen nach Süden, und seine Ziele sind Termessos und Attaleia.«
Silanos starrte sie ungläubig an.
»Also, was ist?« lachte Krates. »Magst du mich begleiten?«
»Ja … ja, natürlich, aber …«. Silanos verstummte und starrte betreten zu Boden.

»Philoxenos«, sagte Livia sanft und nannte ihn damit zum ersten Mal bei seinem richtigen Namen. »Du weißt, wie sehr wir dich ins Herz geschlossen haben und dass du deinen Platz in unserer Familie immer behalten wirst. Aber bei Juno, du bist ein Pisidier und auch, wenn du mir nie von deinem Zuhause erzählt hast, so ist deine Heimat doch sicher sehr schön.«
»Aber wenn ich in Termessos bleibe, werden wir uns nie wiedersehen. Was werden deine Söhne davon halten?«
Livia lachte bitter. »Sie werden dich verfluchen, Silanos. Aber glaube mir, in ein paar Jahren werden sie es verstehen und sich in dem glücklichen Bewusstsein erinnern, dass du ein freier Mann bist, der seinen eigenen Kindern die Werte weitergibt, die du in unserem Haus erfahren hast.«
Silanos nickte und kämpfte sichtlich um seine Fassung. »Ich bin euch von Herzen dankbar«, sagte er mit stockender Stimme, »aber ich bitte euch, gebt mir ein wenig Zeit, um dieses Angebot zu überdenken.«

Livia und Krates nickten ihm lächelnd zu und wünschten ihm eine gute Nacht. Nachdem sich Silanos in sein Zimmer zurückgezogen hatte, setzte sich Livia zu ihrem Mann und legte ihren Kopf in seinen Schoß.
»Er wird mitgehen«, sagte sie schließlich leise. »Er braucht nur noch etwas Zeit, um zu akzeptieren, dass er ein freier Mann ist.«
»Waren denn die letzten elf Jahre nicht Zeit genug?«
»Du meinst, seitdem du ihn freigesprochen hast, damals auf dem Schiff des Telamon?« Sie schloss die Augen und lächelte bitter. »Die Macht, die Silanos geknechtet und ihm seine Freiheit geraubt hat, war Rom. Aber du bist kein Römer, Krates. Wie willst du ihm etwas zurückgeben, was du ihm nicht genommen hast?«

Krates strich ihr zärtlich über die Wangen und betrachtete sie mit nachdenklichen Blicken.
»Alles«, fuhr sie fort, »was deine damalige Freisprechung an Bord bewirken konnte, war eine Klarstellung, wie ihr euch in deinem Hause begegnen würdet, von Grieche zu Grieche. Für sein Gefühl der vollkommenen Freiheit aber hätte es meiner Zustimmung bedurft. Und die konnte ich ihm damals nicht geben, weil ich mich selbst noch nicht vollends von Rom gelöst hatte. Solange er also in unserem Haus lebte und arbeitete, war er in seinem Herzen noch immer ein Sklave Roms.«

Es ging schon auf den späten Vormittag zu, als Krates endlich in die Bibliothek kam. Seine Kollegen begrüßten ihn fröhlich und er begab sich gleich an seinen Schreibtisch. Er hatte in den letzten Monaten ein paar kleinere Aufsätze über die Sprachtheorie der Stoa geschrieben und widmete sich nun wieder seinem alten Thema über die Geographie Homers. Artemon nickte ihm von seiner Arbeitsecke aus zu und wies auf den zentralen Tisch gegenüber dem Eingang.
»Da sind heute ein paar Briefe für dich gekommen.«

Krates beäugte neugierig seine Post und musste lächeln. Agathon hatte ihm aus Mallos geschrieben, auf dem Papyrus darunter erkannte er das Siegel des Scipio und von Zenodotos war auch ein Brief dabei. Krates erbrach das Siegel des Mallosbriefes und las die Neuigkeiten von seiner Familie in Kilikien. Agathon hatte die besten Aussichten auf einen Posten als Ratsherr von Mallos und Orthygia war zum dritten Mal schwanger.
Scipio ließ ihn herzlich grüßen und berichtete ihm von seiner Hochzeit mit der Tochter des Sempronius Gracchus. Na, dann viel Spaß, grinste Krates, als er sich an den intriganten Senator erinnerte und sich amüsiert vorstellte, wie er sich in die Ehe seines Schwiegersohnes einmischen würde. Aber das musste Scipio selber wissen.

Der Brief seines ehemaligen Schülers aus Tarsos dagegen ließ ihn freudig aufspringen. Wie es schien, hatte sich Zenodotos seiner damaligen Abschiedsworte erinnert und beschlossen, die Akademie von Tarsos für ein paar Semester zu verlassen, um an anderen Schulen zu unterrichten. Erregt wanderte Krates in der Bibliothek auf und ab und las von Zenodotos’ Plänen im Laufe der folgenden Monate auch nach Pergamon zu kommen.
»Phantastisch!« rief Krates begeistert. »Stellt euch vor, mein damaliger Schüler Zenodotos kommt uns besuchen.«
»Zenodotos war dein Schüler?« fragte Demetrios erstaunt.
»Ja, ich unterrichtete ihn ein Semester in Tarsos, bevor ich nach Pergamon kam. Aber wir kennen uns schon sehr viel länger, denn unsere Väter arbeiteten beide als Ratsherren und unsere Familien waren gut miteinander befreundet.«
»Als Grammatiker«, bemerkte Demetrios, »finde ich ihn ein wenig trocken. Aber seine Richtlinien für den kritischen Apparat sind sehr überzeugend. Und wann will er kommen?«

»Innerhalb der nächsten Monate. Den genauen Zeitpunkt weiß er offensichtlich selbst noch nicht. Nein, wie ich mich freue!«
Beschwingt setzte sich Krates wieder an seinen Schreibtisch und setzte seine Studien zur homerischen Geographie fort. Seine neueste Theorie betraf den Schild des Achilles, von dem er glaubte, dass ihn Homer nur deshalb so exakt beschrieben habe, weil er die Erde und den Kosmos wiedergebe.
»Weißt du übrigens«, fragte Leonidas von einem der hinteren Regale, »wann wir die nächste Papyruslieferung erhalten? Unsere Vorräte sind fast erschöpft.«
Krates bedachte seinen Bibliothekar mit verwunderten Blicken. »Die müsste eigentlich längst eingetroffen sein. Ich dachte, ihr hättet sie entgegengenommen.«

»Bei mir ist nichts angekommen.«
»Haben wir denn nichts mehr auf Lager?«
»Eben nicht. Und die nächste Lieferung kommt erst Anfang nächsten Monats.«
Krates schüttelte ärgerlich den Kopf. »So geht das aber nicht. Ohne Papyrus können wir nicht arbeiten. Lauf doch mal runter zur Agora und erkundige dich, ob die Händler etwas wissen.«
Der Bibliothekar machte sich auf den Weg, während Krates die Kiste mit dem restlichen Papyrusvorräten inspizierte. »Meine Güte«, rief er entsetzt, »das reicht ja noch nicht einmal für zwei Tage.«

Als Leonidas zurückkehrte, war er so außer Atem, dass er sich erst einmal setzen musste. Keuchend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf.
»Was ist?« fragte Krates beunruhigt.
»Es gibt keinen Papyrus mehr.«
»Was soll das heißen, es gibt keinen Papyrus mehr?«
»Die Händler haben mir gesagt, dass man keinen kaufen kann, weil ihn die Ägypter nicht mehr exportieren. König Ptolemaios soll angeblich einen Ausfuhrstopp verordnet haben, um die Konkurrenzbibliotheken in Asien und Hellas zu schwächen.«

»Das ist nicht dein Ernst!« fragte Krates entgeistert.
»Ich fürchte doch. Und dabei habe ich mich extra bei mehreren Händlern erkundigt, aber sie sagen alle das gleiche und beziehen sich dabei auf die Aussagen von Karawanenführern, Schiffsmannschaften und Kaufleuten.«
»Verdammt!« schrie Krates und schlug dabei so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass sein Tintenfass auf den Boden fiel und zerbrach. »Diese eingebildeten Dummköpfe! Gebe Zeus, dass es nur Gerüchte sind und wir schon morgen unseren Papyrus erhalten.«
»Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Ich werde Attalos fragen«, erwiderte Krates und bemühte sich um einen ruhigeren Tonfall. »Ihr solltet in der Zwischenzeit schon mal prüfen, auf welche Schriften wir notfalls auch verzichten könnten.«

»Du meinst, wir sollen Palimpseste erstellen?«
»Ich weiß, wie mühsam das Abkratzen der alten Schriften ist, aber mir fällt momentan nichts Besseres ein. Bis wir eine gescheitere Lösung gefunden haben, müssen wir eben mit den Palimpsesten leben.«
Krates schnappte sich seinen Mantel und machte sich auf den Weg zum Palast. Gegenüber dem Säulenportal, das zum Athenaheiligtum führte, hörte er das Hämmern und Klopfen der Handwerker, die am neuen Palast arbeiteten. Attalos schien sich im Hof seines verstorbenen Bruders nicht mehr wohl zu fühlen und ließ daher auf dem benachbarten Gelände ein Peristylhaus errichten, dessen Ausmaße sogar noch um einiges größer waren als das der alten Königspaläste.

»Hallo, Krates«, rief der Mosaikenmeister von der Baustelle.
»Grüß dich, Hephaistion. Na, wie läuft’s bei euch?«
»Wir sind gerade mit einem Fußboden fertiggeworden. Komm und sieh selbst!«
Krates ließ sich von dem Meister in einen Seitenraum führen, dessen Bodenmosaik Vögel aller Arten zeigte, die auf einem Baum saßen und scheinbar um die Wette sangen. Die Rautenmuster am Rand, aber auch die Vögel selbst waren so kunstvoll dargestellt, dass man fast meinte in das Bild hineingreifen zu können. Licht und Schatten wechselten sich mit den unterschiedlichsten Farben ab und Krates bewunderte wieder einmal die Kunstfertigkeit, mit der Hephaistion kleine und kleinste Steine zu einem Bild zusammenfügte.
»Wirklich imponierend«, staunte er. »Aber woran erkennt man, dass das Bild von dir stammt?«

Der Meister schmunzelte und warf mit gespielter Verwunderung die Stirn in Falten. »Gibt es etwa noch einen, der diese Kunst so gut beherrscht wie ich?«
»Im Moment sicher nicht. Aber ich rate dir trotzdem dich hier irgendwo zu verewigen, damit auch kommende Generationen noch wissen, dass diese Mosaiken von der meisterhaften Hand des Hephaistion stammen.«
Der Handwerker schürzte die Lippen und legte den Kopf leicht zur Seite. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen, musterte das Ergebnis seiner Arbeit und nickte ein paarmal vor sich hin. »Naja, warum eigentlich nicht? Die Bildhauer und Vasenmaler haben ja auch ihre Signaturen.«
Krates legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich. Als er an die Pforte des Palastes klopfte, dachte er noch einmal über die Papyrusgeschichte nach. Der Exportstopp, sofern er sich nicht als Ammenmärchen entpuppte, war so einfach wie genial, denn auf diese Weise ließen sich ohne großen Aufwand sämtliche Bibliotheken auf einen Schlag lahmlegen. Der Diener, der ihm die Tür öffnete, begrüßte ihn höflich und bat ihn im Vorraum Platz zu nehmen.

»Krates!« begrüßte ihn Attalos herzlich. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«
Krates erwiderte den Gruß mit einer höflichen Verbeugung. »Ich wollte dich um Rat fragen, sofern es deine Zeit zulässt.«
»Natürlich. Also sag schon, was brennt dir auf der Seele?«
»Es ist eigentlich ganz einfach: Wir haben keinen Papyrus mehr.«
»Dann bestellt euch doch neuen.«
»Deswegen wäre ich nicht gekommen. Der Punkt ist, dass wir keinen mehr bestellen können, weil König Ptolemaios angeblich ein Exportverbot für Papyrus verhängt hat. Jedenfalls scheint es in ganz Asien keinen Papyrus mehr zu geben.«

Attalos blickte ihn ernst an und strich sich dabei durch seinen angegrauten Bart. »Ich kann diesem kulturellen Streit mit den Alexandrinern nicht so viel abgewinnen wie mein lieber Bruder, zumal ich momentan auch ganz andere Sorgen habe. Denn eine furchterregende Streitmacht aufzustellen ist die eine Sache, siegbringend zu kämpfen eine ganz andere. Doch zurück zu deinem Problem: Wenn ich es richtig verstanden habe, könnt ihr ohne Papyrus nicht weiterarbeiten.«
»Ich fürchte, das ist der Sinn der Sache.«
»Könnten wir vielleicht selbst Papyrus herstellen?«

»Nein. Denn abgesehen davon, dass die Fasern der Papyruspflanze vor ihrer Verarbeitung etwa ein Jahr alt sein müssen, würde sie bei uns auch gar nicht wachsen.«
»Wie steht es mit anderen Pflanzen?«
»Schlecht. Keine unserer heimischen Pflanzen eignet sich zur Herstellung eines Papyrusähnlichen Materials. Man könnte es natürlich mit dickem Stoff probieren, doch der hält sich nicht lange und ist zudem auch schwer zu beschreiben.«
»Das heißt im Klartext, wir sind auf ihren verdammten Papyrus angewiesen?«
Krates blickte betreten zu Boden. »Ich fürchte, ja.«
»Und was kann ich dagegen tun?«

»Ich wollte dich vorab nur bitten diese Meldung zu überprüfen. Denn die Suche nach einer möglichen Alternative wird in jedem Fall aufwendig und teuer. Sollte es sich aber nur um eine Falschmeldung handeln, müssen wir uns ja nicht unnötig bemühen.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Als Krates in die Bibliothek zurückkehrte, merkte er, wie zornig ihn diese Geschichte machte. Er gab den Schreibern seine letzten Anweisungen und machte sich auf den Weg in die Stadt, um ein bisschen Zerstreuung zu finden und den Ärger des Tages nicht auch noch mit nach Hause nehmen zu müssen. Der Markt mit seinem bunten Treiben brachte ihn schnell auf andere Gedanken. Er machte bei einem der Blumenhändler halt und kaufte für Livia einen großen Strauß Rosen, den er ihr mit nach Hause bringen wollte. Der Händler bedankte sich, nahm das Geld und kritzelte eine Notiz auf einen kleinen Stofffetzen. Krates wandte sich schon zum Gehen, als er plötzlich erstarrte. Ohne zu wissen, welche Idee ihm gerade gekommen war, wandte er sich noch einmal dem Blumenhändler zu. Schließlich nickte er und deutete auf den Stofffetzen mit der Notiz. »Was ist das für ein Material? Papyrus oder Stoff?«

»Weder, noch«, erwiderte der Händler irritiert. »Es ist Leder.«
»Leder?« wiederholte Krates zweifelnd. »Kann man denn auf Leder schreiben?«
»Normalerweise nicht. Aber auf säuregegerbtem Leder ist das kein Problem. Außerdem ist Leder wesentlich günstiger als Papyrus.«
»Und woher hast du das Leder?«
»Von meinem Schwager Patrios. Er ist Gerber und hat seine Werkstatt unten, auf der anderen Seite des Burgberges. Aber warum fragst du mich das alles?«
Krates hielt inne und dachte scharf nach. Dann ließ er sich von dem Händler den Weg beschreiben und ging über die Hauptstraße in die Unterstadt. Am Gymnasiontor angelangt, folgte er dem Straßenverlauf nach Nordosten, umrundete den Fuß des Burgberges und vernahm bald den stechenden Geruch der Gerbereien, der sich mit dem beißenden Rauch aus dem Töpferviertel vermischte.
Patrios bedankte sich für die Grüße seines Schwagers und zeigte für Krates’ Anliegen großes Interesse. Er reichte ihm ein Lederstück, das in etwa dem des Blumenhändlers entsprach.

Krates befühlte skeptisch die Dicke des Fetzens. »Könntest du mir ein so behandeltes Leder auch auf Tischgröße spannen?«
Patrios nickte eifrig. »Natürlich. Ich habe gerade drei Ziegenhäute fertig, die ich behandeln könnte. Wenn du mir bis morgen Mittag Zeit gibst, kann ich dir das Leder in die Bibliothek bringen lassen.«
»Das wäre wunderbar«, bedankte sich Krates und eilte beherzten Schrittes zurück in die Philetaireia.
Als Livia die Rosen sah, ging ein Strahlen über ihr Gesicht. Sie umarmte ihren Mann und küsste ihn so leidenschaftlich, dass er sich beschämt im Hof umschaute.

»Sind denn die Kinder nicht da?« wunderte er sich über die noch immer anhaltende Stille.
»Silanos ist mit ihnen ins Gymnasion gegangen, aber sie müssten jeden Moment zurückkommen. Hast du Hunger?«
»Den habe ich. Aber der kann auch warten, bis wir vollzählig sind.«
»Was bist du denn so vergnügt?« fragte Livia aus der Küche, während sie die Blumen in eine Vase stellte.
»Wir hatten heute ziemlichen Ärger in der Bibliothek, aber ich glaube, ich habe eine tolle Lösung gefunden.«
»Was für Ärger?«
»Die Ägypter haben ihre Papyruslieferungen eingestellt. Und eine Bibliothek ohne Schreibmaterial ist genauso sinnvoll wie ein Ofen ohne Holz.«
»Und warum haben sie das getan?«

»Ganz einfach: Um all die Bibliotheken in Asien und Hellas lahmzulegen, die ihnen Konkurrenz machen. Ein alter Streit zwischen Ptolemaios und Eumenes. Attalos hält sich da weitgehend raus, aber Ptolemaios ist ja noch immer am Leben.«
»Und wie sieht nun deine Idee aus, von der du eben erzähltest?«
»Ich weiß noch nicht, ob es klappt«, begeisterte sich Krates. »Aber ich glaube, es könnte eine gute Übergangslösung sein. Als ich nämlich vorhin bei dem Blumenhändler war, sah ich, wie er ein Stück Leder beschrieb. Also fragte ich ihn, ob sich Leder überhaupt beschreiben lässt und …«
»Mann, Krates!« mahnte ihn Livia lachend. »Erzähl mir keine langen Geschichten. Ich will wissen, welche Lösung dir eingefallen ist.«
»Gespanntes und speziell behandeltes Leder als Papyrusersatz. Zufrieden?«
»Na, bitte«, lächelte sie. »Geht doch.«

»Hallo, Vater!« rief Telephos, als er zur Tür hereinstürmte.
»Grüß dich, Herzchen!« erwiderte Krates und nahm seinen Jüngsten freudig in die Arme. Dann begrüßte er auch Apollodoros und Silanos und führte die Heimgekehrten in die Küche.
Nachdem Livia die Kinder ins Bett gebracht hatte, offerierte ihnen Silanos seine Entscheidung Krates nach Termessos begleiten zu wollen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er auch nach Pergamon zurückkommen dürfe, wenn ihm das Leben in seiner Heimatstadt nicht zusage.
Der nächste Tag begann mit der Bestätigung der Nachricht, dass die Ägypter ihre Papyrusausfuhr tatsächlich gestoppt hatten. Die pergamenischen Händler verfügten nur noch über wenige Reserven und verkauften diese zu Wucherpreisen, was auf der Agora zu manchem Handgemenge führte.

Als Krates die Bibliothek betrat, begrüßte er seine Schreiber, die noch immer mit der Sichtung des Katalogs beschäftigt waren und die Täfelchen der zweitrangigen Literaten aussortierten. »Ich denke, das reicht fürs erste. Ihr könnt euch jetzt daran machen, die herausgesuchten Schriften abzukratzen, damit wir unsere Papyrusvorräte bald wieder aufstocken können.«
Am frühen Nachmittag glich die Bibliothek eher einer Werkstatt als einem Ort der Gelehrsamkeit, denn jeder von ihnen kratzte mit einem scharfen Messer auf irgendwelchen Papyri, um die alten Schriftrollen von ihren Texten zu befreien. Ärgerliches Schnauben und wütende Flüche begleiteten ihre Arbeit und so war der Gerber Patrios nicht schlecht erstaunt, als er die Tür zur Bibliothek durchschritt und Krates die bestellte Lederhaut vorbeibrachte.

»Bei allen Göttern«, lachte Patrios, »offensichtlich habe ich mir von der Bibliothek immer ein falsches Bild gemacht. Ich dachte, dies sei ein ruhiger Ort, an dem konzentriert studiert und geschrieben wird.«
»Gebe es Zeus, dass es bald wieder so sein wird. Wie viel bekommst du?«
»Fünf Kistophoren«, antwortete der Gerber und ließ sich von Krates bezahlen.
Leonidas und die anderen Schreiber blickten ihn fragend an, als Krates die Tierhaut über seinen Tisch legte und prüfend befühlte.
»Was wird das denn?«
»Vielleicht das Ende unserer Probleme.«
»Eine einfache Lederhaut?«

»Eine einfache Lederhaut, die man beschreiben kann. Vorausgesetzt, es funktioniert. Aber das werden wir jetzt ausprobieren.« Er nahm seine Feder, tauchte sie schwungvoll in das Tintenfass und begann zu schreiben. Zeile um Zeile füllte sich das Leder mit seinen Gedanken, bis er frustriert innehielt, weil die Tinte verlief und das Schriftbild unansehnlich verschmierte.
»Wie wäre es«, schlug Leonidas vor, »wenn man das Leder mit Harzwasser bestreichen würde?«
Krates ließ sich die Flüssigkeit reichen und trug sie mit einem Pinsel großflächig auf. Nachdem sie getrocknet war, machte er einen neuen Versuch und war schon wesentlich zufriedener. »Es scheint zu helfen. Aber wir sollten das Harz vielleicht etwas mehr konzentrieren.«
Sie bestrichen eine neue Probe mit konzentrierter Harzlösung und stellten Zweierlei fest: Zum einen hielt sich die Tinte nun genauso gut wie auf dem Papyrus, zum anderen wurde das Leder durch die Lackschicht so dick, dass man es nicht mehr ohne weiteres einrollen konnte.
»Na, prächtig!« lachte Demetrios. »Wir versuchen hier ein Problem zu lösen und konstruieren dabei nur ein neues.«

»Aber wer sagt denn, dass eine Schrift immer gerollt sein muss? Man könnte sie doch auch auf einzelne Seiten schreiben und diese dann an ihrer Längsseite wie eine Wachstafel zusammenheften.«
»Ja, natürlich«, begeisterte sich Leonidas. »Warum eigentlich nicht?«
Sie einigten sich auf den Versuch den Rest der Lederhaut in gleichgroße Seiten zu zerschneiden, diese entsprechend mit Harz zu bestreichen und mit einem kleinen Aufsatz zu beschreiben. Anschließend wollten sie die Seiten zu einem Band zusammenbinden und Attalos präsentieren. Krates spürte den Aufwind, den seine Idee unter die Männer brachte und genoss die Hochstimmung, mit der sie ihre Arbeit verrichteten. Am frühen Abend hatten sie das Lederstück in vierundzwanzig gleichgroße Seiten geschnitten, die nun nach ihrer Harzbehandlung an einer Schnur hingen und über Nacht trocknen sollten.

Am nächsten Morgen konnte es Krates kaum erwarten die behandelten Lederseiten zu begutachten und so begab er sich schon kurz nach Sonnenaufgang auf die Akropolis. In den Sälen der Bibliothek roch es stark nach Harz, deshalb ließ er die Tür offen und nahm die getrockneten Seiten von der Schnur. Sie fühlten sich wunderbar glatt an und waren alles in allem sogar preisgünstiger als eine einzige Seite Papyrus. Krates dachte eine Weile darüber nach, welche Schrift er ihnen anvertrauen sollte und entschied sich für einen Auszug aus dem Alexanderzug. Schließlich würde er die Schrift Attalos schenken und der war ein Feldherr, der an diesen Ausführungen gewiss seine Freude hatte. Krates holte sich je ein Fass roter und schwarzer Tinte und machte sich daran das Kapitel zu kopieren. Da sie die Seiten später binden würden, konnte er sie vor- und rückseitig beschreiben, wodurch sich aus den vierundzwanzig Blättern mindestens sechsundvierzig Seiten ergaben. Noch ein Vorteil, dachte er beglückt, denn der Papyrus ließ sich ja nur einseitig beschreiben.

Als seine Schreiber eintrafen, hatte er bereits dreißig der sechsundvierzig Seiten vollgeschrieben. Auch die rote Tinte kam auf den Lederhäuten hervorragend zur Geltung und die Bibliothekare bewunderten ihn für seine kalligraphischen Künste. Gegen Mittag war er mit der Kopie fertig und legte müde die Feder beiseite.
»Und was machst du jetzt mit deinem Alexanderkapitel?«
»Jetzt werden wir die Seiten binden. Ich dachte mir, dass wir dazu am besten eine Lochzange verwenden, wie sie die Gürtelmacher besitzen. Könnt ihr mir so ein Ding auftreiben?«
Demetrios zuckte mit den Schultern. »Gib mir Geld, dann werde ich das erledigen.«
Krates gab ihm zehn Kistophoren und bat ihn, auch noch fünf dünne Lederschnüre mitzubringen. Nachdem Demetrios gegangen war, begutachtete er noch einmal seine Kopie. Seite für Seite blätterte er von rechts nach links und lächelte über die ungewohnte Art der Lektüre. Aber die Seiten waren durch das Harz wirklich so steif geworden, dass man sie unmöglich hätte rollen können.

Demetrios kam zurück und überreichte ihm die gewünschte Lochzange, die Lederschnüre und das restliche Kleingeld. Krates probierte die Zange an den Lederresten von gestern aus und hatte bald die richtige Lochstärke gefunden. Dann markierte er die Stellen vor und stanzte die Löcher. Abschließend zog er die Lederschnüre durch die Löcher, verknotete ihre Enden und betrachtete amüsiert das erste Buch, das sie in der Bibliothek erstellt hatten.
»Wie findet ihr das?« fragte er stolz in die Runde.
»Beeindruckend«, lobte ihn Leonidas. »Und eigentlich ja ganz einfach. Aber man muss eben drauf kommen. Genauso wie auf die Idee mit der Katalogisierung, mit der du hier vermutlich das Beste bewirkt hast, was diese Bibliothek je erfahren hat.«

»Wirklich unglaublich«, urteilte auch Attalos, nachdem ihm Krates das gebundene Buch in den Palast gebracht hatte. »Und wie willst du deine Erfindung nennen? Kratisches Leder?«
»Nicht doch!« wehrte Krates ab. »Was soll ich mich da in den Vordergrund stellen? Ich dachte eher an die Bezeichnung ›Pergamenische Haut‹. Was hältst du davon?«
»Wahrlich, Krates, du bist ein würdiger Vertreter unseres Geistes. ›Pergamenische Haut‹ also? Ja, das gefällt mir. Dann müssen wir deine Idee nur noch richtig vermarkten.«
Krates schüttelte heftig den Kopf. »Nein«, sagte er bestimmt. »Entschuldige meine vehemente Widerrede. Aber ich glaube, dass dadurch alles nur noch schlimmer werden würde. Ich möchte dir lieber einen anderen Vorschlag machen.«
»Na, dann lass hören«, forderte ihn Attalos auf.

»Die Ptolemäer haben uns den Papyrus genommen, weil sie sich vor unserer kulturellen Stärke fürchten. Wenn wir jetzt unsererseits die ›Pergamenische Haut‹ verkaufen und sie überall hin, nur eben nicht nach Alexandria liefern, wird das die Ägypter in ihrem Kleinglauben nur bestärken und unweigerlich dazu führen, dass sie sich auf irgendein anderes Produkt konzentrieren, von dem sie glauben uns mit einem weiteren Exportstopp Schaden zufügen zu können.«
»Du meinst, wir sollten uns nicht zur Wehr setzen?«
»Das habe ich nicht gesagt und ich bin durchaus der Meinung, dass wir darauf reagieren sollten, nur eben nicht auf die gleiche Weise. Ich möchte dir lieber den Vorschlag unterbreiten hier in Pergamon eine große Schule zu gründen. Eine Stoa, an der zahlreiche Gelehrte unterrichten und deren Ruf Pergamon weit vorauseilen wird.«

Attalos kniff die Augen zusammen. »Eine Stoa meinst du?«
»Ganz Recht. Wir bräuchten ein repräsentatives Schulgebäude und genügend Mittel, um bedeutende Gelehrte zu begeistern.«
Attalos musterte ihn mit wachen Blicken. »Denkst du dabei an jemanden Bestimmten oder müssten wir die Stellen erst ausschreiben?«
»Ich denke an die Besten«, antwortete Krates energisch. »Die klügsten Köpfe, die Asien zu bieten hat: Zum Beispiel die beiden Stoiker Isagoras aus Halikarnassos und Arrianos aus Knidos, deren scharfen Verstand sogar die Alexandriner noch fürchten. Artemon und mein Schüler Zenodotos, der in den nächsten Monaten nach Pergamon kommen wollte, könnten sie dabei unterstützen. Als Basis dagegen hätte ich gerne die beiden Grammatiker Alexandros und Drakon aus Ionien.« Krates redete sich in Fahrt und schaffte es ganz offensichtlich, den Funken der Begeisterung auch auf Attalos überspringen zu lassen. »Ein paar hochrangige Wissenschaftler«, schloss er seine Rede, »wie etwa der Historiker Archidamos aus Assos oder der Mathematiker Hyperion von Ephesos könnten die Flanken unserer Schule besetzen. Allerdings werden uns all diese Männer viel Geld kosten und ich weiß nicht, ob das im Augenblick überhaupt möglich ist.«

Attalos lachte. »Du denkst an den Krieg, zu dem es hoffentlich nicht mehr kommen wird? Da sei unbesorgt. Die Arbeiten am Großen Altar werden in absehbarer Zeit beendet sein und der verschlingt zurzeit die meisten Gelder. Solange du mir versprichst, das Verhältnis deiner Gelehrten zu euren Schülern in einem vernünftigen Rahmen zu halten, wird es mir ein Vergnügen sein, eure Schule zu fördern. Vielleicht könntest du ja sogar einen Teil der Anwerbungen schon auf deiner Rückreise hinter dich bringen.«
Krates strahlte, denn natürlich hatte auch er schon daran gedacht. Aber so musste er den König nicht mehr um Erlaubnis bitten.
»Und was machen wir jetzt mit deiner Erfindung?«
Krates grinste. »Ich schlage vor ihr Herstellungsprinzip so flächendeckend wie irgend möglich zu veröffentlichen.«
Attalos erwiderte das Grinsen. »Du meinst …«
»Aber ja«, lachte Krates. »Geben wir die Alexandriner und ihren kleinkarierten Exportstopp doch ruhig der Lächerlichkeit preis. Wir veröffentlichen unser Lederrezept und zeigen aller Welt, dass wir Pergamener nicht so kleingeistig sind wie unsere selbsterklärten Mitbewunderer. Wenn wir dann noch eine bedeutende Stoa haben, die sich vor den großen Akademien nicht verstecken muss, wirst du sehen, wie schnell das Papyrus wieder auf dem Markt und dieser dämliche Streit um den kulturellen Vorrang endlich beendet ist.«

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