Roms kontinuierliche Getreideversorgung gehörte zu den komplexesten logistischen Leistungen der Antike. Die Hauptstadt des Römischen Reiches, deren Bevölkerung zeitweise über eine Million Menschen erreichte, benötigte täglich gigantische Mengen an Korn. Antike Quellen deuten darauf hin, dass allein im Hafen von Ostia täglich mehrere voll beladene Schiffe eintreffen mussten.

Diese Schiffe kamen aus den fruchtbarsten Regionen des Reiches: aus Spanien und dem Nil-Delta in Ägypten sowie aus den Getreideanbaugebieten rund um das nördliche Schwarze Meer. Letztere Route stellte jedoch eine besondere Herausforderung dar, denn sie erforderte die Passage durch den Bosporus – eine Meerenge, die mehr Tücke besitzt als man ihr zutraut.
Der Bosporus ist nicht nur geographisch schmal, sondern auch hydrologisch raffiniert. Aufgrund des geringeren Salzgehalts des Schwarzen Meeres fließt an der Oberfläche eine kräftige Strömung von Norden nach Süden. Das salzreichere Wasser der Ägäis hingegen bildet eine gegenläufige, etwas schwächere Unterströmung, die 40 Meter unter der Wasseroberläche kontinuierlich von Süden nach Norden verläuft – ein zweischichtiges, maritimes Förderband.
Ohne die Kenntnis dieser unsichtbaren „zweiten Etage“ des Bosporus wäre eine regelmäßige Versorgung aus dem Norden unmöglich gewesen. Mit der Oberflächenströmung konnten die voll beladenen Schiffe zwar relativ problemlos nach Süden Richtung Mittelmeer treiben, doch der Rückweg wäre zur Falle geworden: Ohne Gegenströmung wäre die Flotte buchstäblich im Marmarameer stecken geblieben.
WIE die Römer oder ihre Vorgänger die Unterströmung des Bosporus entdeckten, bleibt Spekulation, bietet jedoch Raum für Rekonstruktionen. Gut vorstellbar wäre etwa die Szene eines antiken Schiffs, das bei rauer See einen Anker warf und dabei bemerkte, wie das Seil plötzlich gegen die erwartete Richtung gespannt wurde – ein maritimer Aha-Moment.
Wahrscheinlich folgten systematische Experimente: Anker über Bord, Gewichte an Holzpfählen, Beobachtung der Zugrichtung von Tauen. Dass antike Seeleute experimentierfreudig und erfinderisch waren, ist gut belegt. Die praktische Nutzung dieser Gegenströmung erforderte jedoch mehr als bloßes Wissen.
Um sie tatsächlich nutzbar zu machen, befestigten die Seefahrer große Holzplatten unter den Schiffen, deren Ränder mit Blei verstärkt waren. Diese Platten wurden in die 40 Meter tiefer wirkende Unterströmung gehängt und wirkten dort wie submaritime Segel, die die leichten, weil leeren Handelsschiffe nordwärts zogen.
Dadurch ließ sich die starke Oberflächenstömung halbwegs kompensieren und die Schiffe konnten sich nun mit Rudern oder Segeln ausreichend bewegen, um die tückische Meerenge auch entgegen der Hauptströmung erfolgreich zu durchfahren. Damit entstand ein hydraulisch gestütztes Transportsystem, das Roms politische und wirtschaftliche Stabilität überhaupt erst ermöglichte. Ohne diese clevere Lösung wäre der Getreidenachschub aus der Schwarzmeerregion instabil geworden und Rom womöglich häufiger am Hungertuch nagend als auf dem Forum handelnd gewesen.