Als sich heute morgen wieder der Nebel über die Rheintalebene legte, hatte ich die Wahl zwischen sonniger Winterlandschaft im Schwarzwald oder nasskaltem Spätherbst in den Vogesen. Ich entschied mich für letzteres und suchte mir eine Burg heraus, die ich noch nicht kannte. Burg Hagueneck, eine winzig kleine Höhenburg in den Vogesen über Wettolsheim bei Colmar. Eine Stunde Fahrt über Breisach nach Frankreich. Und es ist ja jedesmal wie ein kleiner Urlaub. Die kleinen Weindörfer des Elsass, die chaotische Fahrweise der Franzosen, die schlechten Straßen. Die Leute auf der anderen Seite des Rheins setzen die Prioritäten eben woanders als wir. Und das ist gut so.
Vom Waldparkplatz läuft man eine gute Stunde bis zur Burg. Heute allerdings teilte ich mir den Wald einzig mit den Tieren. Und schon der Weg zur Burg war spannend. Denn wer sich beruflich mit solchen Dingen beschäftigt, erkennt schnell den Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Waldweg und einem mittelalterlichen Versorgungspfad. Immer wieder waren die Felsen, über die der breite Weg führte, sorgfältig abgemeißelt und tatsächlich fand ich auch die eine oder andere Wagenspur, die sich durch Jahrhunderte lange Nutzung in die Felsen des Weges geschliffen hatte.
Die meisten Burgen in Südbaden und im Elsass wurden ja erst während des 30jährigen Krieges zerstört. Die Burg Hagueneck hatte eine viel kürzere Lebensdauer. Im frühen 13. Jahrhundert erbaut war sie schon Ende des 15. Jahrhunderts eine Ruine, die nie wieder bewohnt wurde. Das hatte mehrere Gründe, vor allem aber den, dass die Burg ursprünglich nur die nördlichste Befestigung des Bistums von Rufach war, also eine reine Grenzfestung ohne Wohnkomfort.
Das erklärt auch, weshalb der große Turm im westlichen Teil der Burg kein Donjon oder Bergfried im klassischen Sinne war, in den sich die Burgherren im Falle einer Belagerung zurückziehen konnten. Der quadratische und immer noch 18 Meter hoch erhaltene Turm ist massiv und nur im oberen Teil mit einer schmalen Schneckentreppe versehen, die bis aufs Turmdach führte. Gewohnt wurde auf Burg Hagueneck ausschließlich im Palas, dessen Mauergeviert direkt unterhalb des Turmes lag.
Und selbst dafür waren die Räumlichkeiten ungewöhnlich klein. Der herrschaftliche Teil besaß kaum mehr als 50 Quadratmeter Wohnfläche! Mit geübtem Blick sprang ich wie eine beleibte Gemse über die Mauern und freute mich an den architektonischen Raffinessen der Baumeister. Natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen, die metallene Wendeltreppe zur Burggalerie hinaufzusteigen und oben ein paar Fotos zu machen. Glücklicherweise habe ich dabei mehr auf meine Kamera geachtet, als auf den baulichen Zustand der Treppe.
Erst als ich wieder unten war, wurde mir klar, dass ich vermutlich ziemliches Glück gehabt hatte. Denn an einigen Stellen waren die Schrauben der gusseisernen Treppe bereits lose und die Maueranker wackelten im Steinverband. Diese Treppe gehört definitiv gesperrt! Ich habe ihren Zutritt mit zwei großen Ästen versperrt und einen dritten Ast unter die erste wackelige Stelle geklemmt. Hoffentlich kapieren die nächsten Besucher den Sinn dahinter. Und wie immer bei solchen Spontan-Aktionen hatte ich natürlich mal wieder die Zeit vergessen. Dass es längst dämmerte, wurde mir erst klar, als plötzlich ich nur noch in Grautönen sah.
Holla, da war ich aber schnell wieder auf den Waldwegen! Am Auto angekommen war es dann tatsächlich stockdunkel. Ich saß noch eine ganze Weile im Wagen und dachte über diesen schönen Ausflug nach, bevor ich wieder die Elsässer Weinberge hinunter in die Rheintalebene rollte und glücklich über die französischen Dörfer gen Heimat fuhr.