
Ich habe mir gestern zum ersten Mal seit gefühlten Lichtjahren wieder eine Packung Cornflakes gekauft. Keine Ahnung warum, ich hatte einfach Bock auf den Geschmack. Komischerweise zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
Ich habe mir gestern zum ersten Mal seit gefühlten Lichtjahren wieder eine Packung Cornflakes gekauft. Keine Ahnung warum, ich hatte einfach Bock auf den Geschmack. Komischerweise zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
Und während ich mir die Maisflocken hinter die Kiemen schaufelte, wurde mir klar, dass es tatsächlich schon eine Ewigkeit her war, seit ich das letzte Mal Cornflakes gegessen habe. Meine Datierungsversuche wanderten von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt.
Ich erinnere mich z.B. an ein Gespräch zwischen meiner Oma und meiner Mutter, in dem es um die Frage ging, warum ich Haferflocken esse, aber keine Cornflakes. Zum Zeitpunkt dieses Gespräches war ich etwa 12 Jahre alt. Und dann, wie ein sich öffnender Nebelschleier, setzte die Erinnerung wieder ein. Und die ist wirklich erzählenswert …
Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr, aber ich weiß noch, dass es Winter war. Ein Winter in Istanbul. Das Haus, in dem wir wohnten, besaß zwar Heizungen, aber keine gute Isolierung. Und so zog von überall die Kälte ins Haus. Es gab in unserer Wohnung einen gut gesicherten Raum, der immer abgeschlossen war. In ihm lagerten die besonderen Vorräte, die Kolonialwaren, wenn man so will, teuer eingeflogen oder von Besuchern aus Deutschland mitgebracht. Medizin. Schokolade. Whiskey. Und neben vielem anderen Zeugs eben auch Cornflakes.
Einmal war es mir gelungen einen Blick in diesen Raum zu werfen, in dem sich die Cornflakes-Packungen vom untersten Regal bis unter die Decke stapelten. Aber irgendwann im Winter kam immer der Zeitpunkt, an dem der Besucherstrom ausblieb und folglich die Konsumgüter zur Neige gingen. Auch die Cornflakes wurden rationiert und mutierten zum Luxusgut, das man sich verdienen musste.
So weit so gut. Das Belohnungsprinzip ist die Grundlage unseres Wirtschaftssystems, das hatte ich schon früh begriffen. Ist ja auch okay. Aber es dauerte nicht lange, bis die Cornflakes auch als Druckmittel eingesetzt wurden. Wenn du dies oder das nicht machst, bekommst du heute abend keine Cornflakes… Jepp!
Und exakt das war der Zeitpunkt, an dem ich als Kind auf Cornflakes keine Lust mehr hatte. Ich muss mir wohl so etwas gedacht haben wie; „Macht euren Scheiß doch alleine!“ Denn fortan hab ich die Dinger nicht mehr angerührt. Mein Bruder hat früher mal erzählt, dass er in Istanbul die Cornflakes quasi für sich allein gehabt habe. Und jetzt, wo ich drüber nachdenke, fällt mir ein, dass das stimmt.
Ich war von einem Tag auf den anderen nicht mehr erpressbar. Zumindest nicht mit Cornflakes. Ein Ersatz war natürlich schneller gefunden als mir lieb war. Und der hat letztlich genauso gut funktioniert. Eltern sind da ja sehr erfinderisch. Das ist aber gar nicht wichtig. Denn die Moral von dieser Geschichte ist, dass der Wunsch nicht mehr abhängig sein zu wollen, eine freie Entscheidung ist, die man für sich jederzeit treffen kann – und offenbar schon im Kindesalter.
P.S.: Sie schmecken trotzdem gut. Auch in unabhängiger Freiheit!