Ausnahmen bestätigen die Regel

Liebe ist ein Phänomen, das man in stark vereinfachter Form auch bei Hunden beobachten kann. Wer (s)einen Hund gut behandelt und ihm seine Liebe zeigt, wird diese Liebe auch gespiegelt bekommen und das funktioniert bei den eigenen Vierbeinern genauso gut wie bei denen von Freunden und Verwandten. Wenn Hunde uns mögen, dann zeigen sie uns das unverblümt. Diese offensichtliche Bedingungslosigkeit in der Liebe eines Tieres kann einem schon sehr nahe gehen.

Nur so lässt sich erklären, warum ein römischer Hundebesitzer aus Mytilene auf der griechischen Insel Lesbos im beginnenden 3. Jahrhundert nach Christus keine Kosten scheute, um seinem Hund eine aufwändige Bestattung mit Grabrelief und Epigramm zu spendieren. Dass wir heute noch von diesem Hund wissen, hängt damit zusammen, dass der Grabstein vermutlich kurz nach dem Ableben des Hundebesitzers als Spolie in einer Hauswand verbaut und noch später in den Neubau einer kleinen Kirche einbezogen wurde.

Da seine Rückseite all die Jahrhunderte nach vorn zeigte, waren Relief und Inschrift geschützt und konnten die 1.800 Jahre nahezu unverletzt überstehen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der ungewöhnliche Grabstein bei Restaurierungsarbeiten in Lesbos zufällig entdeckt und gelangte über Umwege ins archäologische Museum von Istanbul. Dort sah ich ihn 1985 bei einem Istanbul-Besuch zum ersten Mal. Ich fotografierte die Inschrift und zeigte sie wieder nach Hamburg zurückgekehrt meinem damaligen Griechischlehrer.

Gemeinsam saßen wir in der staubigen Bibliothek des Johanneums und entzifferten die alten Buchstaben – ein unvergesslich schönes Erlebnis! Der römische Hundebesitzer hatte für seine geliebte Hündin ein Epigramm in elegischen Distichen dichten lassen. Das ist ein Versmaß, das wie eine Welle immer hin- und herfließt. Erst kommt ein getragener Hexameter mit 6 Jamben, dann folgt ein gebrochener Pentameter. Dann folgt eine kleine Atempause und weiter gehts mit dem nächsten Hexameter.

Normalerweise bestanden Grab-Epigramme immer nur aus zwei Strophen. Das hängt vermutlich mit ihrer Melodie zusammen, denn diese Epigramme waren in Wirklichkeit Lieder. Die Elegischen Distichen bildeten den Text-Rhytmus zu bekannten Melodien, die austauschbar waren. Kannte man ein oder zwei solcher Liedmelodien, konnte man von einem Epigramm zum nächsten schreiten und die Wünsche und Segen der Hinterbliebenen „mitsingen“. Aber mehr als zwei Strophen konnte sich offenbar kaum einer merken.

Als ich am Ende meines Archäologie-Studiums in meiner Griechisch-Prüfung gefragt wurde, was ich dem Professor über griechische Grab-Epigramme erzählen könne, erzählte ich, was ich gelernt hatte und endete mit dem Hinweis, dass diese Epigramme in der Regel nur zwei Strophen hatten. Auf seine spöttische Frage, was ich denn mit „in der Regel“ meinte, erwiderte ich, dass es ja mindestens ein römisches Grabgedicht gebe, das drei Strophen habe.

Mein Prüfer warf mir einen fragenden Blick zu und ich erzählte ihm von der Grabinschrift für die Hündin Parthenope aus Lesbos, veröffentlicht unter anderem in der Edition Griechische Inschriften von Gerhard Pfohl 1966. Der Prüfungsadlat rannte zwecks Faktencheck gleich in die Bibliothek und kam mit der aufgeschlagenen Textstelle wieder. Dieses kleine, aber feine Detail hat immerhin in der Endnote den Schubser von c.l. zu c.m.l. gegeben 😄

Und hier nun die besagte Ausnahme, die auch die oben beschriebene Regel bestätigt: Das 1.800 Jahre alte Grab-Gedicht eines liebenden Hundebesitzers aus Mytilene auf Lesbos, das statt der sonst üblichen zwei ganze DREI Strophen besitzt. Da ich es hier nicht im Originalwortlaut schreiben kann, werde ich euch die griechischen Wörter in deutschen Lettern und dabei die betonten Silben in Versailien wiedergeben – so könnt Ihr wenigstens versuchen, das Epigramm im antiken Versmaß des Distychon zu lesen:

PAR-theno-PEN kyna THAP-sen a-NAX heos HE syna-TY-ren |
TAU-ten TER-po-LES – AN-tidi-DOUS chari-TA. ||

EST athlon STOR-ges A-ra kai KY-sin HOS ny kai HE-de |
EU-nous OU-sa tro-PHEI – SE-ma le-LON-che to-DE. ||

ES tod‘ ho-RON chres-TON poiou PHI-lon, HOS se pro-THY-mos |
KAI zon-TA ster-GOI – KAI nekron AM-phie-POI. ||

Die Hündin Parthenope begrub (hier) ihr Herr, mit der zusammen er spielte | und stattete ihr (auf diese Weise) Dank ab für die Freude, die sie ihm gegeben hatte. || Einen Kampfpreis der Liebe gibt es nämlich auch für Hunde, so wie nun auch diese (Hündin), |weil sie ihrem Ernährer treu geblieben war, dieses Grabmal erhalten hat. || Auf dieses blickend, oh Fremder, mache dir (ein Tier) zum Freund, | der dich im Leben liebt und im Tode umsorgt.