Die Voodoo-Puppen vom Highway D400

Diese Geschichte ist schon eine ganze Weile her. Ich glaube, es war mein zweiter Survey in Etenna, also August 2002. Etenna ist eine winzige antike Gebirgsstadt in der Südtürkei, die auf Grund ihrer extremen Höhenlage nie archäologisch erforscht wurde, obwohl sie doch einige wirklich sehenswerte Überreste zu bieten hat. Mein Team war schon vor Ort, weil es von einer anderen Expedition aus Syrien kam, aber ich konnte die Kollegen nicht erreichen und mein Flug hatte Verspätung. Ich weiß noch, wie ich gestresst am Kofferband des Flughafens von Antalya stand und mich darüber ärgerte, weil ich durch die Verspätung den Bus nach Manavgat verpasst hatte.

Da mein Team schon auf mich wartete, musste ich in den sauren Apfel beißen und mir für die knapp 100 km lange Strecke ein Taxi nehmen. Tatsächlich musste ich vor dem Terminal nicht lange suchen. Ein sehr eifriger Fahrer eilte wortgewaltig auf mich zu und bot mir seine Dienste an. Ich machte ihm klar, dass es eine längere Fahrt werden und ich deshalb den Preis mit ihm gern im Voraus ausmachen würde. Der Mann freute sich und willigte ein. Eigentlich hätten bei mir schon zu diesem Zeitpunkt die Alarmglocken läuten müssen, denn mit Taxifahrern, die viel und schnell reden, habe ich noch nie gute Erfahrungen gemacht. Aber ich war viel zu sehr unter Zeitdruck als seinem Redefluss irgendeine Beachtung zu schenken.

Während wir vom Terminal auf den brandneu geteerten Highway fuhren, der als vierspurige D400 von Antalya bis nach Manavgat führt, laberte mir mein Fahrer ungehemmt einen Knopf nach dem anderen an die Backe, ungeachtet der Tatsache, dass mich sein Gequatsche Null interessierte. Immer wieder erstaunlich diese Leute, die einen zutexten, ohne mitzubekommen, dass die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer abschweift und sich ihre Blicke erst vom Erzählenden abwenden, um schließlich ab einem gewissen Pegel der Dauerbeschallung wieder genervt zurückzukehren. Strohpuppen, schloss der Mann mit einem selbstgefälligen Grinsen und zeigte mit dem rechten Daumen hinter sich. Diese Strohpuppen dahinten seien der Schlüssel zum Erfolg.

Ich warf einen gelangweilten Blick nach hinten und stutzte kurz, weil im Fond des Taxis wirklich hunderte kleiner Strohpuppen lagen. Handteller groß, mit albernen Knopfaugen und rotem Grinsemund, grottenhässlich wie diese Voodoo-Puppen afrikanischer Quacksalber oder wie das Strohzeugs, das sich mancher an Weihnachten in den Christbaum hängt. Die habe alle seine Frau gemacht, erklärte mein Fahrer stolz und nun würde er sie heute Abend zu seinem Schwager nach Side bringen, wo sie dann an Touristen verkauft werden sollten. Ich stellte mir vor, wie genervt die Frau des Taxifahrers wohl gewesen sein muss, weil sie die ganzen Puppen alleine machen musste, während ihr Mann sie zuschwallerte. Aber vielleicht redete sie ja genauso viel oder sogar noch mehr als er. Ich wollte nicht unhöflich sein, deshalb fragte ich nur, ob das wirklich funktioniere. Aber ja, bekam ich zu hören, die Touris seien doch ganz wild auf seine Strohpuppen. Er hatte das angeblich ausprobiert. Na denn …

Kurz vor Manavgat wurde der Verkehr dichter und kam schließlich ins Stocken. Die Hitze im Wagen war unerträglich und es stank erbärmlich nach Stroh und irgendwelchen Klebstoffen. Ich kurbelte die Scheibe herunter. Der Fahrer fragte, ob ich rauche und bot mir eine Maltepe an. Ich nahm dankend an und wollte schon mein Zippo aus der Tasche holen, als der Fahrer nur gebieterisch die Hand hob und sagte, dafür gebe es doch schließlich die Makinasi – den Zigarettenanzünder. Er war mit seinem Monolog mittlerweile bei den Nachbarkindern seines Schwagers in Side angelangt. Ich schaute nur auf meine Armbanduhr und biss mir nervös auf die Lippen. Letztes Jahr war die Bergstraße nach Sirtköy zum Teil noch nicht asphaltiert. Die Fahrt mit dem Taxi ging zwar schneller als mit einem der kleinen öffentlichen Busse, aber ich war mir nicht sicher, ob der Motor dieses Wagens für die Schotterpisten und steilen Serpentinen der Bergstraße stark genug war.

Die ersten Autos hupten und es kam ein wenig Bewegung in den Verkehr. Der Taxifahrer erzählte gerade vom Sportlehrer der Schwagerkinder und wechselte auf die rechte Spur in der Hoffnung, dass es da schneller gehen würde, aber da stand der Verkehr auch bald wieder. Der Zigarettenanzünder klickte, kam aber nicht heraus. Selbst als wir beide daran zogen, steckte das Ding einfach fest. Also doch mit dem Feuerzeug, tamam. Die Männer, mit denen ich die nächsten Tage in den Bergen des Taurus verbringen würde, redeten nicht so viel, so viel war sicher. Die meisten Mitglieder des 11-köpfingen Teams kannte ich von früheren Surveys. Die Mannschaft, die ich leiten sollte, bestand aus drei Archäologenkollegen, zwei Architekten, zwei Geodäten und vier erfahrenen Bergführern. Ich freute mich auf den Auftrag und die Feldforschung, die Abende am Feuer, auf das sanfte Rauschen des Südwindes und die sternklaren Nächte unter freiem Himmel.

Plötzlich qualmte es aus der Armatur.

Der Bakkal eine Straße weiter sei doch an allem Schuld, schimpfte mein Fahrer gerade und hämmerte auf die Armatur und den blockierten Zigarettenanzünder. Wie der Taxifahrer vom Sportlerer der Kinder seines Schwagers auf den Kaufmann in seiner Nachbarschaft gekommen war, hatte ich irgendwie nicht mitbekommen, aber das schien im Moment auch zweitrangig, weil der Rauch mittlerweile aus allen Ecken und Ritzen der Armatur hervorquoll. Motorbrand? Der Fahrer schlug mehrfach mit der flachen Hand gegen die Lüftungsschlitze und urplötzlich – es machte nur „pchiuuu“ – schoss der Zigarettenanzünder zwischen unseren Sitzen nach hinten in den Fahrgastraum. Ich sah das nur aus dem Augenwinkel, irgendein hell gelber Gegenstand, der mit zischendem Geräusch in den Strohpuppen verschwand.

Im Nu fingen die Puppen Feuer und tatsächlich dauerte es nur wenige Sekunden, bis der ganze Fond in Flammen stand. Wir sprangen beide aus dem Wagen, ich sogar bis ans Wagenende, öffnete hastig den Kofferraum und holte mein Gepäck heraus. Andere Fahrer eilten mit Feuerlöschern zu Hilfe und nebelten das Strohpuppen-Inferno in eine riesige Löschpulverwolke. Es war gut, dass wir uns im Stau befanden und wir sowieso auf der rechten Spur standen. So konnte ich mich mit meinem Gepäck an die Leitplanke stellen und stand nicht im Weg. Das Taxi war nur noch ein ausgebrannter Schrotthaufen und die Voodoo-Puppen hatten sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Der arme Mann schimpfte und weinte, aber er schien den Verlust seiner Strohpuppen mehr zu bedauern als den seines Wagens.

Ein Lastwagenfahrer, der nach Beyşehir wollte, nahm mich mit und so kam ich irgendwann spät am Abend doch noch bei meinen Leuten an. Ein gelachtes „geçmiş olsun“ war das oft wiederholte Fazit, das mir jeder Türke erwiderte, dem ich diese Geschichte erzählte: „Möge es Vergangenheit sein!“ Ich selbst fand die Geschichte lange Zeit nicht lustig, weil ich immer an den Verlust des armen Taxifahrers und seiner Frau denken musste, die doch in den Strohpuppen eine wirkliche Chance sahen. Aber dann entdeckte ich wenige Monate später in der Hürriyet das Bild eines offenbar beliebten Fußballkommentators aus Antalya. Und tatsächlich, dieser Sportkommentator war kein geringerer als mein Taxifahrer mit den Strohpuppen. Schön, dachte ich, dass er offenbar einen Beruf gefunden hat, in dem er so viel und schnell reden darf wie er will und alle finden ihn trotzdem toll. Seitdem bin ich mir sicher, dass auch er mittlerweile über die Voodoo-Puppen-Story lachen kann und kann es daher nun auch selbst 😂