

Ein Morgengruß von nah und doch so fern
Heute ist ein verregneter, nasskalter Samstagmorgen Mitte April 2024. Ich sitze mit einer Tasse Kaffee an meinem Laptop und mische ein neues Hörbuchkapitel meines Historienromans ab. Hörspiele und Hörbücher zu tollen Geschichten gibt’s ja wie Sand in der Wüste, doch ein vorgelesener Text mit leiser Musik und inhaltlich passenden Hintergrundgeräuschen, die das Kopfkino unterstützen, ohne allzu aufdringlich zu sein, dieses Genre ist noch relativ neu.
Als ich meinen Historienroman vor 20 Jahren geschrieben habe, war mir die hellenistische Welt des zweiten Jahrhunderts vor unserer Zeit natürlich sehr präsent. Heute muss ich mich manchmal erst wieder mühsam einlesen, bis ich Krates‘ Geschichte nicht nur bildlich vor mir sehe, sondern auch höre. Soeben ist auf diese Weise das 63. Hörkapitel fertig geworden, deren erste Minute ich hier mal mit einstelle.
Mit diesem erneuten Hineinspüren in die Bilder und Geräusche der Antike kommen mir jedoch auch Erinnerungen an das Schreiben. Eine meiner größten Freuden war immer die narrative Einbindung einer historischen Person, Begebenheit oder auch nur eines Gegenstands wie einer Inschrift, eines Gebäudes oder eben eines Mosaiks in den Kontext der aktuellen Szene. Einer dieser stummen Zeitzeugen war ein Mosaikenmeister namens Hephaistion, der zur selben Zeit und sogar in den selben Gebäuden Pergamons tätig war wie Krates.
Die beiden müssen sich also früher oder später begegnet sein, auch wenn diese Begegnung natürlich zu unwichtig war, um überliefert zu werden. Ich fand diese mögliche Begegnung deswegen interessant, weil Hephaistion etwas tat, was bis dahin noch kein Mosaikenmeister vor ihm getan hatte: Nämlich sein Werk im Mosaik selbst zu signieren. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dies erst auf Krates‘ Zuspruch hin geschah und so hatte ich diese Passage kurzerhand in den Handlungsstrang mit aufgenommen: (Hier der unten wiedergegebene Ausschnitt des Hörkapitels für alle, → die lieber zuhören als selbst zu lesen)
Krates griff nach seinem Mantel und machte sich auf den Weg zum Palast. Gegenüber dem Säulenportal, das zum Athenaheiligtum führte, hörte er das Hämmern und Klopfen der Handwerker, die am neuen Palast arbeiteten. Attalos schien sich im Hof seines verstorbenen Bruders nicht mehr wohlzufühlen und ließ daher auf dem benachbarten Gelände ein Peristylhaus errichten, dessen Ausmaße sogar noch um einiges größer waren als das der alten Königspaläste.
»Hallo, Krates«, rief der Mosaikenmeister von der Baustelle.
»Grüß dich, Hephaistion. Na, wie läuft’s bei euch?«
»Wir sind gerade mit einem Fußboden fertiggeworden. Komm und sieh selbst!«
Krates ließ sich von dem Meister in einen Seitenraum führen, dessen Bodenmosaik Vögel aller Arten zeigte, die auf einem Baum saßen und scheinbar um die Wette sangen. Die Rautenmuster am Rand, aber auch die Vögel selbst waren so kunstvoll dargestellt, dass man fast meinte in das Bild hineingreifen zu können. Licht und Schatten wechselten sich mit den unterschiedlichsten Farben ab und Krates bewunderte wieder einmal die Kunstfertigkeit, mit der Hephaistion kleine und kleinste Steine zu einem Bild zusammenfügte.
»Wirklich imponierend«, staunte er. »Aber woran erkennt man, dass das Bild von dir stammt?«
Der Meister schmunzelte und warf mit gespielter Verwunderung die Stirn in Falten. »Gibt es etwa noch einen, der diese Kunst so gut beherrscht wie ich?«
»Im Moment sicher nicht. Aber ich rate dir trotzdem dich hier irgendwo zu verewigen, damit auch kommende Generationen noch wissen, dass diese Mosaiken von der meisterhaften Hand des Hephaistion stammen.«
Der Handwerker schürzte die Lippen und legte den Kopf leicht zur Seite. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen, musterte das Ergebnis seiner Arbeit und nickte ein paarmal vor sich hin. »Naja, warum eigentlich nicht? Die Bildhauer und Vasenmaler haben ja auch ihre Signaturen.«
Krates legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich.
Der donnernde Knall einer vom Windzug zugeschlagenen Tür hat mich soeben schlagartig ins Hier und Jetzt zurückgeholt. Mit dem Wind kam der Regen, der nun gegen die Scheiben meiner Dachwohnung trommelt und mein Vorhaben, zur Post zu gehen und auf dem Rückweg neuen Kaffee zu besorgen, erstmal auf unbestimmte Zeit verschiebt.
Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende!