Heute einmal Wörter statt Bilder und Filme
Der Juni war im Südwesten Deutschlands schon immer ein warmer Monat – aber eben kein heißer. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir Mitte Juni schon Temperaturen von knapp 40 Grad gehabt haben. Das ist definitiv zu heiß. Unseren Kindern ist das scheinbar egal, schließlich gibt es überall irgendwelche Seen, in die man hineinhüpfen kann, um sich abzukühlen. Also sind Lennart und ich heute an den größten See Baden-Württembergs gefahren, der mit 930 m über NN meines Erachtens auch der höchste sein dürfte.
Wie zu erwarten, mussten wir lange nach einem Parkplatz suchen, weil bei der Hitze natürlich Kreti und Pleti unterwegs waren und die Ufer des Sees bevölkerten. Aber wie gesagt und das war gleichzeitig unsere Hoffnung: Eben hauptsächlich die Ufer. Auf dem See selbst befanden sich nur ein paar wagemutige Segler, denn der Wind blies da oben doch schon recht kräftig.
Der Aufbau ging schnell, zumal wir mittlerweile ein so aufeinander eingespieltes Team sind, dass jeder Handgriff sitzt und man sich gegenseitig nicht im Wege steht. Nahe der Rampe zum Auf- und Abslippen der Boote befand sich sogar eine Bank mit Tisch und Schatten, sodass derjenige von uns beiden, der gerade nicht segeln konnte, wenigstens nicht in der Sonne verbrutzeln musste. Meine Kinder haben beide ein sehr gutes Körpergefühl und bewegen sich auf Sportgeräten so leichtfüßig und behende, dass man denken könnte, sie wären im Olympia-Kader
Lennart segelt wie ein junger Gott. Ich konnte vom Kran über der Slip-Anlage genau die Wellen-Grenze sehen, wo der seichte Wind hinter der Windabdeckung aufhört und der warme Südostwind ungebremst über den See kachelte. Als mein Jung in diese Zone segelte, kippte das Boot schlagartig zur Seite … richtete sich aber sofort wieder auf, weil Lennart geistesgegenwärtig die Großschot aufgefiert und sein Gewicht nach außen verlagert hatte. Ja, mehr noch: Das ganze war eine einzige, fließende Bewegung, aus der er alle Kraft herauszuholen vermochte. Jedenfalls schoss er danach wie ein Pfeil über den aufgewühlten See und sein Juchzen war bis ans Ufer zu hören.
Als er eine halbe Stunde später zurückkam – wir hatten vor langer Zeit einmal vereinbart, dass wir uns alle halbe Stunde abwechseln und das funktioniert, ohne dass einer von uns eine Uhr bräuchte – und ich mich von der halbwegs windgeschützten Bucht der Seemitte näherte, wurde mir sehr schnell klar, was ihn so in Extase versetzt hatte. Da ich schwerer bin als mein Sohn, vermochte mich der Wind nicht umzukippen. Aber ich musste mich genauso wie er entscheiden, ob ich die Fahrt langsam und sicher oder schnell und mit Risiko fortsetzen wollte.
Was letzteres betrifft, sind Lenni und ich aus dem gleichen Holz geschnitzt: No risk, no fun. Ich verlagerte mein Gewicht leicht nach vorn und außen, fierte die Großschot auf, sodass sich das Segelprofil mit Wind füllen konnte und schoss plötzlich selbst wie ein Pfeil durch die Wellen. Die allerdings kamen auf meinem Kurs von der Seite, sodass es galt, den richtigen Schnittwinkel zu finden, bei dem das Boot nicht ausgebremst und die Gischt nicht allzu stark über Bord geweht wurde. Als auch dieser Winkel dann aber gefunden war, glitt die TIWAL wie ein riesiger Schlitten durch die Wogen. Zwei Meter hinter dem Heck spritzte das Kielwasser mit einer gewaltigen Welle nach oben, fast so wie bei einem Motorboot und die rasante Fahrt hinterließ im Kielwasser zwei diagonale Wellen, die sich vom Boot weg über den See bewegten.
In diesem Moment war ich eins mit meinem Boot, mit dem Wind, mit den Wellen des Sees und der Natur um mich herum. So ein Flug durch die Wellen erfordert ein hohes Maß an Konzentration, schon die kleinste Unaufmerksamkeit kann zur Kenterung führen. Und doch haben diese Momente etwas sehr meditatives, zentrierendes und kraftvolles an sich. Es ist ähnlich wie beim Autofahren: Da überlegt man sich ja auch nicht mehr, wann man welchen Gang einlegt. Im Endeffekt ist es vermutlich dieser Mix, der bei vielen Seglern den Kick des Gefühls von unbegrenzter Freiheit auslöst.
Nachdem wir beide jeweils dreimal über den See gepiked waren, haben wir das Schiffchen wieder abgebaut, im Wagen verstaut und sind die Berge wieder hinunter ins Dreisamtal gefahren. Unterwegs erzählte ich meinem Sohn von meinen Gefühlen auf dem See und war erstaunt, dass er sie ungefiltert erwiderte. Es scheint ihm da ganz ähnlich zu gehen, denn er konnte meine Beschreibung schlagfertig um viele weitere Attribute ergänzen und am Ende genügte ein kurzer Blick, ein Lachen und ein langes Schweigen, um zu erkennen, dass wir uns im absoluten Konsens befanden. Das hat mich dann, obwohl hinterm Steuer sitzend und irgendwelchen Touris hinterherfahrend, die beim Bewundern unserer schönen Landschaft die Bergstraße mit Tempo 40 blockieren, noch einmal mindestens genauso glücklich gemacht.