

Die meisten Gelegenheiten, bei denen man einem Schwindel aufgesessen ist, vergisst man entweder oder packt sie ins Eckschränkchen der sorgsam gepflegten Ich-bin-ein-Opfer- Erinnerungen. Mich haben sie immer nur unter einem einzigen Aspekt interessiert: Kann ich daraus etwas lernen oder nicht? Wenn ja, verbuch ich’s als Lehrgeld, wenn nein, dann als dringende Aufforderung die Einstellungen meiner persönlichen Firewall zu überdenken.
Mein erstes Lehrgeld als angehender Archäologe habe ich gleich zu Beginn meines Studiums auf einer Exkursion nach Griechenland gezahlt. Ich erinnere mich noch genau an das höhnische Gelächter und den beißenden Spott meiner älteren Kommilitonen, als ich ihnen stolz eine Tonscherbe präsentierte, die ich am Wegesrand des antiken Olympia gefunden hatte. Die Scherbe gehörte der Bemalung nach zu einer späthellenistischen Vase und zeigte unter einem oben wie unten dreilinig gerahmten Lotosblattfries einen korinthischen Krieger mit Schild, Helm und Lanze …
Tatsächlich stammte sie aus dem 10m weiter vorn gelegenen Kiesbett des neuzeitlichen Wegs durch den archäologischen Park und diente ebenso wie tausende anderer Scherben ihrer Art als Unterfütterung des neuen Asphaltbelags. Es war nichts weiter als ein moderner Scherbenhaufen, der vermutlich aus einer der ortsansässigen Souvenir-Töpfereien stammte und bei den letzten Ausbesserungsarbeiten der Ephorie von Olympia eine Wiederverwendung erfuhr. Und ich war so stolz gewesen … das war echt bitter.
Der Spott tat natürlich weh, aber wie gesagt, viel interessanter fand ich die Frage, ob ich daraus etwas lernen kann. Zum Beispiel, woran die anderen so schnell erkannt haben, dass meine Scherbe nicht echt sein konnte und es von dieser Art Fundstück in unmittelbarer Nähe noch mehr geben musste. Und so erhielt ich von einem lieben Studienkameraden, der später als Wüstenmaler Bekanntheit erlangte, meine erste Lektion zur archäologischen Feldforschung, die mir so sehr geholfen hat, dass ich spontan beschloss, das hübsche kleine Corpus Delicti aufzubewahren.
Die antiken Töpfer, so erklärte es mir Carsten Westphal damals, hätten den Ton ihrer Vasen und Töpfe meist mit Stroh oder Gräsern, manchmal sogar mit dem fein zerriebenen Schutt älterer Tongefäße oder kleinen Steinen vermengt, weil das die für den Brand erforderlichen Temperaturen herabsenkte. Denn jeder Holzscheit, den man nicht verfeuern musste, sparte Zeit und Geld. Logisch. Deshalb ließe sich ältere Keramik sehr einfach an der Tonmagerung erkennen:
Wenn sich im Ton der Bruchkanten kleine Lufteinschlüsse (vom verbrannten Stroh) oder grobe Sandkörner befänden, könne man davon ausgehen, dass die Scherbe älter als 200 Jahre ist. Bei der modernen Keramik sei diese Tonmergelung nicht mehr notwendig, weil die industrialisierten Brennöfen problemlos sehr hohe Temperaturen erzeugen können. Die Abbruchkanten meiner Tonscherbe zeigten eindeutig einen sehr reinen, also nicht gemergelten Ton, was dafür spricht, dass die Scherbe keine 200 Jahre alt ist.
Zum anderen, fuhr Carsten fort, hätten sich die Farben antiker Vasen durch einen chemischen Prozess während des Töpferbrandes immer fest mit dem Ton des Vasenkörpers verbunden, sodass sie nicht einfach abplatzen können wie das bei meiner Scherbe der Fall sei. Er demonstrierte mir mit einer gekonnten Bewegung seines Daumennagels wie leicht sich die schöne Bemalung des korinthischen Kriegers vom hellen Ton lösen ließ … <seufz>
Dann putzte er seine Brille und schaute mich fragend an, klopfte mir freundlich lachend auf die Schulter und ging wieder zu seinen Freunden. Man sieht oft, was man sehen will, hatte Carsten seine Erläuterungen beendet, und eben das sei in jeder Art von Forschung immer der Anfang vom Ende. Wie sehr er damit Recht hatte, durfte ich in den folgenden Jahren immer wieder selbst erleben.
Die Olympia-Scherbe liegt seitdem zusammen mit unzähligen anderen Erinnerungsstücken in einer kleinen Holzschatulle. Doch an mein erstes Lehrgeld habe ich in meiner späteren Feldforschung noch etliche Male denken müssen und mich stets mit einem dankbaren Schmunzeln erinnert.