Genialer Tagesbeginn

„Husker du vores sex i trætoppen?“

Wenn man schon beim Aufstehen schallend lachen muss, dann kann der Tag nur gut werden! Grund meines Amusements war der Smiley-Gruß einer lieben Freundin aus Kopenhagen, mit der ich seit dieser Geschichte eng verbunden blieb.

Es war im Spätsommer 1997, als ich auf einem mehrmonatigen Grabungsprojekt in der Südwesttürkei beschäftigt war. Schon lange vor meiner Zeit hatte mein Forschungsteam die Tradition entwickelt, sich Anfang September mit den internationalen Teams anderer Ausgrabungsstätten zu treffen und irgendwo in den anatolischen Bergen zusammen ein Wochenende zu verbringen.

Das Wochenende, an dem ich teilnahm, führte uns in die Höhenzüge des lykischen Taurus, genauer gesagt in das Bachbett eines fast ausgetrockneten Flusses. Beidseitig von hohen Pinienwäldern umgeben bot der Ort alles, was man brauchte: Das fließende Rinnsal eines im Winter sicherlich tosenden Flusses, viel Platz zwischen den hohen Felsen, die ein bisschen Privatsphäre boten, und ausreichend Holz für ein paar Lagerfeuer.

Insgesamt waren wir fast 50 Archäologen, 15 Deutsche, 6 Österreicher, ein Dutzend Amerikaner, 8 Italiener und eine Handvoll Dänen. Winny gehörte zum dänischen Archäologenteam. Es war ein wirklich schönes Treffen mit neuen Bekanntschaften, interessanten Fachgesprächen, kulinarischen Köstlichkeiten und musikalischen Einlagen. Und natürlich, weil der Mensch nicht für die Einsamkeit gemacht ist, ergaben sich auch viele Möglichkeiten einander näher zu kommen.

Winny und ich hatten ziemlich schnell herausgefunden, dass wir einen ähnlichen Humor haben und auf der gleichen Wellenlänge funken. Und was soll man auch sonst den ganzen Tag in einem vertrockneten Bachbett tun?! Am zweiten Abend hatten wir einen kleinen Spaziergang flussaufwärts gemacht und uns schließlich hinter einem großen Felsen niedergelassen. Entgegen unserem ursprünglichen Plan, anschließend wieder zu den anderen zurückzukehren, schliefen wir von unserer Leidenschaft ermattet dort ein und wachten erst wieder auf, als es schon überall im Unterholz knackte und knurrte …

Ein unheimlicher Moment! Die Nacht war sternklar und das Rudel Wölfe nun schon in unmittelbarer Nähe. Winny fragte, ob ich als Junge auch dauernd in Bäume geklettert sei und deutete auf eine stämmige Pinie, die am Flussufer stand. Mit einem Satz waren wir auf den Beinen und stürmten zu dem großen alten Baum. Wie ein Luchs schwang sich Winny in den Baum und ich konnte ihr gerade noch hinterherhasten, als schon einer der Wölfe nach mir schnappen wollte, die bellend und heulend um unseren Baum tobten.

Winny hatte die Führung übernommen und befand den Baum als gesund und stabil. Während die Meute unter uns wütend um den Baum tollte, kletterten wir bis in die Baumkrone, in der die starken Äste zu einer Art Käfig zusammengewachsen waren. Wir fanden einen Einstieg und befanden uns plötzlich in einem zwar sehr hohen, aber auch absolut sicheren Raum. Unter uns hörten wir die Wölfe toben und knurren und heulen. Aber das tangierte uns nicht. Im Gegenteil, die ungeahnte Sicherheit erinnerte uns an die Leidenschaft vom Nachmittag und so ließen wir den Dingen noch einmal freien Lauf. Und es war gigantisch!

Am nächsten Tag haben wir ziemlichen Ärger bekommen, weil ja unsere Kollegen, die sich vor den Wölfen allesamt in ihre Autos retten konnten, nicht wussten, wo wir waren und schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatten. Doch unser Verschwinden bedurfte wohl keiner weiteren Erklärung und so wurde das Gelächter über unsere Nacht im Baum schließlich stärker als der Tadel. Das alles ist nun schon über zwei Jahrzehnte her und der Alltag hält mich auch mit anderen Themen in Atem. Doch ab und zu holt einen die Vergangenheit offenbar wieder ein. Und wenn sie es auf solch lustige Weise tut, soll es mir recht sein.