
Gestern war ich mit Lennart, meinem Jüngsten, in der Balinea Therme in Bad Bellingen. Hier im südwestlichen Rheingraben sprudelt das heiße Thermalwasser ja fast überall aus der Erde. Aber die meisten Bäder kühlen es stark ab, bevor es dann mit maximal 29°C in die Außenbecken fließt. Nicht so die Balinea Therme: Dort hat das Wasser in den großen Außenbecken 34°C. Und das ist natürlich gerade jetzt im Winter toll. Da will man gar nicht mehr raus.
Und während wir so rücklings im sprudelnden Wasser lagen und durch die gewaltigen Dampfwolken in den wolkenlosen Sternenhimmel blickten, fragte mich Lennart, was mein schönstes, ja geradezu paradiesisches Badeerlebnis gewesen sei. Ich musste eine Weile überlegen.
Aber dann entsann ich mich des erstaunlich gut erhaltenen Badebeckens in der römischen Therme von Allianoi, dem La Jolla des antiken Pergamon, denn wer vor 1.800 Jahren Geld UND Stil besaß, wohnte nicht in der hektischen Großstadt, sondern in dem benachbarten Nobelstädtchen.
Allianoi wurde erst ab dem Jahr 2000 erforscht, als klar wurde, dass der Ort im Flutungsbereich des neuen Stauseeprojekts liegen wird, und die Kulturschätze, die man dabei fand, sind wirklich atemberaubend. In den 1990er Jahren jedoch war Allianoi noch eine völlig unberührte, malerische Ruinenlandschaft mit einer heißen Thermalquelle, die sich dort noch immer in das antike Becken einer römischen Therme ergoss.
Das erste mal dort baden war ich im Oktober 1998 an einem windigen und saukalten Herbsttag. Die Grabungsarbeiten auf dem Burgberg waren fast abgeschlossen und wir regelten schon den Kampagnenschluss, als mir am Wochenende ein Kollege von dieser Thermalquelle erzählte. Also rein in die Jeeps und nichts wie hin.
Die meisten denken bei Archäologen immer an weltfremde Spinner, die verträumt mit ihrem Pinselchen in der staubigen Erde rumwedeln. Doch die meiste Zeit über ist dieses Handwerk ähnlich anstrengend wie die Arbeit auf dem Bau. Und die Pergamongrabung gleicht da eher noch dem Knochenjob der Monteure auf einer Ölbohrplattform! Dies nur als Hintergrundinfo, warum mir das Bad in Allianoi vorkam als sei ich im Paradies. Auch die Kollegen, die neben mir im warmen Wasser dümpelten, waren so ergriffen, dass man nur das seicht plätschernde Wasser und den Wind hörte, der durch die knorrigen Bäume wehte. Ich genoss die Wärme in der Kälte, die tosende Stille in der hektischen Geborgenheit und diese Erinnerung hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
„Mein schönstes Badeerlebnis“, sagte Lennart und holte mich schlagartig in die Gegenwart zurück, „waren die Geschichtenvesper in der Badewanne.“ Und er begann von der Zeit zu erzählen, als sich seine Mutter / meine Frau gerade mit ihrer Praxis selbständig machte.
Klammer auf: Meine Archäologie hatte ich damals erst kurz zuvor und schweren Herzens für die Familie an den Nagel gehängt und so übernahm ich fortan die Rolle des Hausmanns: Kindergarten und Schule, Essen kochen, Haushalt, Spielplatz, Kindergeburtstage, Schularbeitenhilfe, Abendbrot, Zähneputzen, Gutenachtgeschichte und Schlafgebet … Und dann abends die Sprüche, dass so ein Lotterleben zu Hause echt entspannt sein müsse … naja, egal. Ohne Multitasking geht das natürlich nicht, also versuchte ich meist, die Organisation durch Parallelprozesse zu optimieren, wozu auch die Geschichtenvesper in der Badewanne gehörten. Klammer zu.
Lennart erinnerte sich noch an das Brett, das ich mit den Kindern eigens dafür gebaut hatte und das man so über die Badewanne legen konnte, dass die Kids wie an einem Tisch saßen, während sie zeitgleich im warmen Badewannenwasser einweichten. Und zugegeben, es waren nicht einfach nur Butterbrote, die ich den Kindern machte. Es waren kleine Kunstwerke! Kunstwerke, die jedesmal eine neue Geschichte hatten, die natürlich erzählt werden musste.
„Diese Geschichten“, resümmierte Lennart gestern Abend, „die du uns damals vom Badewannenrand aus erzählt hast, während wir wohlig durchwärmt zwischen Quietscheentchen, dem aufziehbaren Delfin und anderem Spielzeug deine raffinierten Brot- und Gemüselandschaften aufessen durften, waren für uns immer ein Stück vom Himmel!“
Der spontane Dankeskuss meines Sohnes kam so sehr von Herzen, dass er mich auch heute morgen noch zu einem ebenso stolzen wie glücklichen Vater macht.