

… und seine nautisch logische Konsequenz: Als ich heute die Fahnen vor meinem Büro flattern sah, ist mir eine interessante Idee gekommen: Der unverkennbare Reiz der römischen Luxusresidenz am Kap von Sirmione liegt nicht zuletzt darin, dass es sich sowohl um eine villa rustica handelte, also einen Landsitz, der von den wirtschaftlichen Erträgen seiner Pächter und Ländereien lebte, alsauch um eine villa maritima, deren Hauptzweck in der Erholung am See oder Meer lag. Durch seine exponierte Lage jedoch an der Spitze der Sirmione-Insel zwischen den weiten Buchten von Desenzano, Toscolano Maderno und Peschiera del Garda liegt es nahe, zu vermuten, dass der große Palast auch vom See aus erreichbar war.
Der einzige Grund, der mich bis heute erfolgreich daran gehindert hat, diesen Gedanken weiterzuspinnen und meiner Rekonstruktion einen kleinen Hafen oder zumindest eine Anlegestelle hinzuzufügen, sind die scharfkantigen Kalkfelsen am Kap von Sirmione. Die Fundamente der Grotte di Catullo stehen bekanntlich auf einem Endmoränenhügel der letzten Eiszeit, der seinerseits erst entstand, nachdem die vorangegangene Eiszeit die einst 40 Meter hohen Kreidefelsen der dortigen Steilküste bis kurz unter die heutige Wasseroberfläche abgeschliffen hatte.
Die Kalkfelsen sind ganz klar einer der Publikumsmagnete von Sirmione. Sie stellen aber auch immer noch eine ernst zu nehmende Gefahr für die Schifffahrt dar, weil man die Riffs der weit in den See hineinreichenden Felsenplatte schon bei geringem Wellengang oder diesiger Sicht schnell übersieht. Um der Gefahr des Schiffbruchs vorzubeugen, hat man rings um den äußeren Rand dieser Unterwasserfelsen eine regelrechte Perlenkette aus warnend weißen Bojen verankert. In der Antike wird man anstelle der Bojen grell angemalte Stecken verwendet haben, die die Seeleute vor den Riffs warnen sollten.
Heute ist es verboten, die Felsenriffs mit dem Boot zu passieren und direkt am sogenannten Jamaica Beach unterhalb der Grotte di Catullo zu landen. Vor 1.900 Jahren hätte man dafür zumindest einen ortskundigen und sehr erfahrenen Steuermann gebraucht. Aber vielleicht war das gar nicht notwendig. Denn man könnte ja auch vermuten, dass es einen Anlegesteg gab, der am äußersten Rand der Unterwasserfelsen verankert war. Da die Unterwasserfelsen an ihrem äußeren Rand ähnlich wie die schwedischen Schären steil zum Seegrund hin abfallen, hätten an einem dort gelegenen Steg selbst größere Schiffe mit mehr Tiefgang anlegen können. Bleibt nur noch das Problem mit den am Gardasee vorherrschenden Winden.

Am Gardasee wehen sehr viele unterschiedliche Winde und nur die Einheimischen können diese Winde voneinander unterscheiden. Für den Ortsfremden sind eigentlich nur zwei Winde sicher zu identifizieren, die gleichzeitig die Hauptwinde darstellen, weil sie jeden Tag wehen und erst in der Verwirbelung mit den anderen Winden lokal andere Namen tragen. Die beiden Hauptwinde indes sind der aus dem Norden wehende Pelér und der Südwind, die sogenannte Ora.
Der Nordwind entsteht spät in der Nacht, wenn die Luft über dem Gardasee so weit abgekühlt ist, dass die Luft über den Landmassen der Poebene wärmer ist. Dann nämlich steigt die dortige Landluft auf und es entsteht ein Vakuum, in das die nördlichen Luftmassen vom Gardasee hineingesogen werden. Dieser Effekt klingt um die Mittagszeit ab, wenn sich auch die Luftmassen über dem Gardasee erhitzen und ihrerseits dort aufsteigen. Irgendwann nämlich steigt über dem Gardasee mehr Luft auf als über der Poebene. Von diesem Moment an kehrt sich der Sogeffekt um und der Südwind entsteht. Die Ora ist allerdings nicht so stark wie der Peler. In der Regel schläft der Südwind im Laufe des Abends ein und dann wird es auf dem Gardasee sehr ruhig. Erst im Laufe der Nacht entsteht ein leichter Hauch, aus dem der Nordwind neu geboren wird und das Spiel beginnt von vorn.
Wenn es also in den antiken Grotte di Catullo überhaupt eine Steganlage gab, dann kann sie nur im Nordwesten gelegen haben, weil das die einzige Stelle ist, an die man sich bei Nordwind herantreiben lassen konnte und die bei Südwind im Windschatten des Gebäudekomplexes liegt. Lustigerweise hatte ich schon in meiner ersten Rekonstruktion genau dort, wo heute die Strandbar des Jamaica Beach steht, einen kleinen Strand mit Treppenaufgang zu den Stützgewölben der Seeterrasse gezeichnet. Genau dort müsste ein solcher Steg gelegen haben, was sich relativ einfach anhand der zu erwartenden Pfostenlöcher prüfen lassen sollte. Wenn ich das nächste Mal dort bin, werde ich mir das genauer ansehen.