Wenn gordische Knoten platzen


Ich hatte eben ein wunderbares Erlebnis, das endlich ein meine ganze Jugend lang ungelöstes Geheimnis gelüftet hat: Nämlich warum sich meine Eltern fast jedes mal in die Wolle bekommen haben, wenn es um die Reparatur irgendwelcher banaler Dinge ging.

Ich muss zugeben, dass ich da offenbar genauso ticke wie mein Vater (Gott hab ihn selig), was meine Mutter vorhin auf 180 brachte und mich in ein absolut respektloses, ob ihrer Vehemenz jedoch schallendes Gelächter ausbrechen ließ.

In der Generation meiner Eltern gibt es noch Leute, die nach Kriegsende über weite Entfernungen fliehen mussten und so sitzen die Kindheitserinnerungen meiner Mutter an die Flucht vor der Roten Armee, die sie von Ostpreußen über das Kurische Haff trieb, sehr, sehr tief. Da wurden Dinge nicht einfach weggeschmissen, weil sie nicht mehr gut aussahen, sondern so lange geflickt, bis es nichts mehr zu flicken gab.

Ähnlich sehen die Fußmatten im Auto meiner Mutter aus 😂, das außen immer penibel gewaschen und sogar von innen gesaugt ist. Aber die Fußmatten werden nicht neu gekauft, selbst wenn man die bei ATU für’n Appel und’n Ei kriegt, nein, die kann man noch kleben. Ich glaube fast, das Tape war teurer als die Fußmatte, aber egal.

Natürlich habe ihr geholfen, als sie mich heute darum bat und auf der Vorderseite habe ich alles ganz genau verklebt. Auf der Rückseite indes, wo noch nicht einmal ihre Füße hinschauen können, hatte ich mir erlaubt, das Tape nicht mehr gerade abzuschneiden und auch nicht mehr akkurat, sondern nur noch funktional aufzukleben.

Hätte ich geahnt, welch analogen Shitstorm ich damit lostreten würde, hätte ich mir die Bemerkung „Da sieht’s ja keiner“ gespart. Huiuiui … „GENAU DAS HAT DEIN VATER AUCH IMMER GESAGT!!!“ Und dann ging’s los: Als Stieftochter eines erfolgreichen Bootsbauers könne sie mir versichern, dass Nachlässigkeit immer der Anfang vom Ende sei.

Denn wenn etwas nur vordergründig sauber ausgeführt sei, habe ihr Stiefvater immer gepredigt, habe das nichts mehr mit Qualität zu tun und für den Ruf dieser Qualität hätten wir lange und hart genug gearbeitet. Diese Einstellung sei einer der Gründe dafür, dass man unsere heutige Wirtschaft so konsequent gegen die Wand gefahren habe. Diese Einstellung sei Schuld an dem unter Jugendlichen weit verbreiteten Irrglauben, dass Erfolg durch irgendetwas anderes als harte Arbeit zustande komme. Und so weiter.

In vielem von dem, was da noch aus ihr heraussprudelte, sind wir einer Meinung, in manchem aber auch nicht. Und, nein, Autofußmatten, sorry, haben in einer Waschmaschine nichts zu suchen, es sei denn, man ist scharf darauf, seine Waschmaschine zu schrotten. Man kann die Matten auch einfach ersetzen! Und wenn man etwas klebt, nicht weil es wer weiß was aushalten muss, sondern einfach nur, weil es so schöner aussieht, dann ist es vollkommen wurscht (!), ob auch die Unterseite sauber oder nur funktional ausgeführt ist. So! 😅

Anyway, meine Mutter ist Mitte 80, da darf man solche Marotten haben. Aber wenigstens weiß ich jetzt, warum sich meine Oldies immer gekabbelt haben, wenn es um die Reparatur einfachster Dinge wie z.B. die Sitzkissenbezüge an Bord unserer Segelyacht ging.