
Wie schon öfter erwähnt habe ich die Segelleidenschaft von meinen Eltern geerbt. Selbstredend, dass meine Oldies auch in Istanbul ein Segelboot hatten. Doch Mitte der 1970er Jahre war der Segelsport in der Türkei noch nicht so populär. Die meisten Bootseigner setzten eher auf Motoryachten mit viel PS und einer luxuriösen Innenausstattung. Mein Vater teilte sich mit ein paar Kollegen eine Jolle – und das Segeln auf dem Bosporus ist echt anspruchsvoll, nicht nur wegen der starken Strömung (3-8 Knoten), sondern vor allem auch wegen des starken Schiffsverkehrs, der in der Meerenge kaum ausweichen kann.
Aber wie gesagt, meine Eltern besaßen auch ein Segelschiff, das an der kleinen Fischermole von Bebek lag und uns im Sommer auf viele schöne Törns ins Schwarze Meer oder in die wärmeren Gefilde Richtung Ägäis getragen hat. Das hier gezeigte Aquarell, das mir mein Onkel Walter Knoth 1978 bei seinem Istanbul-Besuch geschenkt hat, nachdem er es ganz gemütlich auf dem Schiffsdeck meiner Eltern sitzend auf seinen Künstlerblock gepinselt hatte, zeigt die kleine Hümayun-u Abad Camii von Bebek. Und das ist schon fast ein historisches Bild, weil man die kleine Moschee heute hinter der modernen Uferbebauung und den vielen Luxusyachten gar nicht mehr sehen kann.
An unsere Istanbuler Segeltörns habe ich nur ganz wenige, bruchstückhafte Erinnerungen. Aber ich erinnere mich noch gut an die lauten Flüche und Verwünschungen meines Vaters, die er jedesmal ausstieß, wenn uns die starke Bosporus-Strömung mal wieder mitten ins Fahrwasser der Großschiffe trieb und das hektisch laute Tuten der Dampfer andeutete, dass sie Kleinholz aus uns machen, falls wir uns nicht ganz schnell verdrücken würden. Irgendwann hörte ich meinen Vater mal darüber klagen, dass sein Schiff ein zu kleines Ruder habe, aber was das bedeutete, konnte ich mir als Kind natürlich noch nicht erklären. Und das war vielleicht auch ganz gut so.
Ihr Teakgetäfeltes Holzboot jedenfalls hatten meine Eltern „Büyükanne“ getauft: Großmütterchen. Ein charmanter Ausdruck für die hundsmiserablen Segeleigenschaften eines sonst doch recht gemütlichen Kajütbootes. Und den Fischern von Bebek entlockte das Großmütterchen meiner Eltern jedesmal ein liebevolles Schmunzeln. Denn ihr Istanbuler Stadtteil wurde „Baby“ genannt, weil sich seine Bebauung in die Uferkurve des Bosporus schmiegt wie ein Baby in das Tragetuch seiner Mutter. Wenn also die Großmutter wieder bei ihrem Baby war, war die Welt doch in Ordnung. Vielleicht lag das aber auch nur an dem großzügigen Bakşiş meines Vaters, damit sie in seiner Abwesenheit ein wachsames Auge auf sein Boot hatten. Wer weiß …